Da ich mich gerade wieder mit dem Thema beschäftige, hier mal mein letzter Kommentar aus 2011 zum COF Artikel. Dieser fasst die ersten Proben ab dem C&D Treffen in Wien zusammen. Neue Erkenntnisse folgen danach.
Zum C&D Treffen in Wien an Pfingsten diesen Jahres hatten einige Personen ihre angesetzten Vintage Cocktails dabei, die zu diesem Zeitpunkt ca. fünf Monate in der Flasche gelagert waren. Probiert wurden unter anderem ein Manhattan, ein Vieux Carré und ein Negroni. Leider war das einheitliche Ergebnis, dass alle Drinks recht flach, abgestanden und kraftlos schmeckten. Da dachte ich mir erstmal, so ein %§$!§%, jetzt stehen um die zehn Flaschen abgestandene Cocktails im Keller. ;-) Aber erstmal abwarten, vielleicht wirds ja noch etwas. Der El Presidente in London war ja immerhin sehr, sehr gut.
Anfang August hatte ich dann einen Teil der Manhattan Flasche von Wien nochmals zu einem Drink verarbeitet und war sehr begeistert vom Ergebnis – ein ähnliches Geschmacksfeuerwerk wie der El Presidente in 69 Colebrooke Row. Die anderen anwesenden Personen fanden durchgängig den Vintage Manhattan interessanter als den frisch gerührten.
Meine Überlegung danach war, dass in Wien evtl. das verwendete Eis zu wässrig war oder ich zu lang gerührt hatte und das Ganze daher zu sehr verdünnt war.
Mitte August in Pinken Bar haben wir daher eine zweite Flasche aufgemacht und leider war das Ergebnis recht ähnlich zu Wien: nicht richtig schlecht, aber flach und “etwas” abgestanden.
Die erste Flasche Stand nach Wien die ganze Zeit im Kühlschrank und war noch ca. 2/3 gefüllt. Die wahrscheinlichste Erklärung ist nun, dass ich zu wenig Luft in den Flaschen gelassen habe und durch etwas mehr Oxidation das gewünschte Ergebnis erreicht wird. Allerdings meine ich mich zu erinneren, dass die anderen Vintage Cocktails in Wien teilweise sehr viel Luft (ca. 50/50) in der Flasche hatten.
Ein paar Tage später hatte Fabian und ich uns nochmal ein paar Gedanken gemacht und etwas rumprobiert:
– Die frisch geöffneten Flaschen in Wien und Frankfurt schmeckten nahezu gleich (schlecht)
– Die Flasche von Wien nach ca. zwei Monaten im Kühlschrank mit 2/3 Füllstand schmeckte um Welten besser. Vergleichbar mit dem Ergebnis des El Presidente in 69 Colebrooke Row
Das lies den Schluss zu, dass entweder der erhöhte Luftanteil (wahrscheinlich) oder die Kühlung (unwahrscheinlich) die positive Veränderung ausgemacht hat.Desweiteren gab es die Überlegung, ob die Abdichtung mit Parafilm evtl. etwas zu viel dem Guten ist und ein minimaler Luftaustausch während der Lagerung notwendig ist.
Um diese Theorien zu testen, entfernte ich bei einer Flasche den Parafilm und öffnete nochmals eine dritte Flasche, um hier den Füllstand etwas zu reduzieren. Zusammen mit Fabian hab ich nochmals den letzten Rest der Flasche aus Wien, die frische Flasche und einem frischen Manhattan verglichen.
Hier ergab sich, dass die frische Flasche nicht mit den frisch geöffneten Flaschen von Wien und Frankfurt vergleichbar war. Der Manhattan schmeckte zwar nicht so rund und vielschichtig wie der Rest der Wiener Flasche, aber auch überhaupt nicht “Tod” bzw. abgestanden, wie die anderen zwei, die frisch geöffnet probiert wurden.
Leider ergibts das nun nicht wirklich einen guten Ansatz für Verbesserungen. Wien und Frankfurt haben gemeinsam, dass die Flasche vor dem Öffnen ziemlich durchgeschüttelt wurden. Die dritte Flasche gestern kam direkt aus dem Keller und wurde während der Lagerzeit nicht bewegt.
Als nächstes steht ein Vergleich von Drinks mit der noch verschlossenen Flasche ohne Parafilm und der gestern geöffneten Flasche mit mehr Luft in der Flasche an.
Fabian bevorzugte übrigens den frischen Manhattan. Bei mir wars eigentlich wie damals beim El Presidente, dass ich je nach Laune entscheiden würde, mit Tendenz zum Vintage.
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Ich hab nun nach über 2 1/2 Jahren mal wieder nen Vintage Manhattan und El Presidente probiert, nachdem ich lange kein Interesse/Zeit für das Thema hatte. Diesmal aber ohne Rühren/Eis, sondern nur im Kühlschrank gekühlt und direkt ins Glas gefüllt. Hierbei lässt sich feststellen, dass die gereiften Cocktails ohne weitere Verwässerung perfekt trinkbar sind. Die resultierenden Drinks sind zwar kräftig, aber imho genau richtig, sehr komplex und gleichzeitig überraschend homogen. Bitte homogen (evtl. auch das falsche Wort, aber mir viel nichts besseres ein, im englischen würde wahrscheinlich integrated besser passen) nicht mit langweilig oder weichgespült gleich setzen. Man hat vielmehr das Gefühl, dass sich alle Komponenten zu einem neuen Ganzen verbunden haben, mehr wie das beim frischen Mixen eines Cocktails der Fall ist. Einen ähnlichen Eindruck hatte ich über den El Presidente der 69 Colebrook Row vor ein paar Jahren.
Die Flasche El Presidente wurde frisch geöffnet, hatte aber etwas mehr Luft in der Flasche als die bisher geöffneten Manhattans. Die Flasche Manhattan war schon etwas länger offen und hatte etwas mehr Luft als die verschlossenen. Beide standen schon einige Monate im Kühlschrank und nicht im Keller. Nachdem ich ein wenig der relativ unbewegten Flasche El Presidente ins Glas geschenkt hatte, hab ich die Flasche nochmals vorsichtig geschüttelt. Zweiteres ergab nochmal einen Unterschied, mit kleinem geschmacklichen Vorsprung für die geschüttelte Variante. Das Verbinden von Aromen während der Lagerung sollte also unempfindlich gegenüber späteres Schütteln sein. Die kleinen Unterschiede wiederum lassen sich durch abgelagerte Schwebstoffe erklären. Der Vergleich wurde nicht nur von mir, sondern auch von Freunden durchgeführt, die der gleichen Meinung waren, ohne dass sie zuvor wussten worum es geht.
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Gestern habe ich auch zufällig einen Artikel über Vintage Cocktails bzw Glass-aged Cocktails im Class Magazine gefunden: http://www.diffordsguide.com/class-magazine/read-online/en/2011-07-26/page-11/the-age-factor. Hier liefert Tony C eine chemische Erklärung zur Reifung von Cocktails in Glasflaschen:
I then went to a flavour company to confirm the results of what we thought was happening to the alcohol once left inside the bottle, and were told we were the first people to ever get cocktails gas chromatographed. The results confirmed what we had been thinking: when left inside the bottle, the chemicals of the alcohol react and break down on one another. They do this in peaks and troughs, and become smaller as they integrate. The more aggressive the flavour, the higher the peaks, and this makes for big flavour. Over time, the chemicals continue to react but with smaller peaks and troughs that go on for longer. These smaller reactions entail that the drink is incredibly smooth. The increased number of chemical reactions makes the chromatograph reading a lot longer.
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Für mich bleibt das Thema weiterhin spannend, nicht als Ersatz zum normalen Mixen, aber als willkommene Ergänzung und interessantes Experiment. Sobald der Bulleit Rye endlich verfügbar ist, werde ich wohl einen neuen Satz Manhattans ansetzen, mit jeweils verschiedenen Mengen Sauerstoff, Abdichtung, usw.
Fest steht für mich, dass kein Eis notwendig ist, sondern die gelagerten Drinks ohne weitere Verwässerung getrunken werden sollten.
Ich muss mal im Keller schauen, wieviele Flaschen von 2011 noch da sind, evtl reichts für ein paar Proben, falls jemand Interesse hat.
Hatte zwischenzeitlich noch jemand Kontakt mit dem Thema? 