Kleiner historischer Leitfaden 1800-1920

Old Sour

Mitglied
Falls sich wieder einmal hierher verirrt. Hier ein kleiner Leitfaden, falls man das Trinkabenteuer mal historisch aufrollen:

Aus dem Sling (Spirituose und Wasser, Zucker) entwickelt sich durch Zugabe von Bitters zunÀchst der «Bittered Sling». Diese Mischung wird in einer Publikation von 1806 Cocktail genannt.

Ein typisches Rezept lautete etwa so:
1 ZuckerwĂŒrfel
Bitters
2 Teile Gin
3 Teile Wasser
Muskatnuss

Die ersten Bars, die sich auf MischgetrÀnke spezialisieren, entstehen in den 1820 und -30er Jahr in den USA (damals noch geteilt).

Damals werden nur Juleps mit Eis zubereitet. Man serviert einen Toddie-Stick und der Gast rĂŒhrt sein GetrĂ€nk mit einem Löffel selbst.

Mit zunehmender Urbanisierung und dem wirtschaflichen Wachstum der USA entstehen in den grossen StÀden Hotelbars und Salons, die sich auf qualitativ hochwertige(re) MischgetrÀnke spezialisieren, wie etwa das Hoffman House und das Waldorf-Astoria in New York.

Jeder Bartender konstruiert seine eigene Variante des "Cocktails". Nach und nach ersetzen Sirupe und Liköre den kristallinen Zucker, der sich in der KĂ€lte des immer leichter verfĂŒgbaren Eises kaum auflöst. Besonders hĂ€ufig greift man zu Maraschino, Absinth und Curaçao/Tripe Sec.

Ab 1850 wird der Einsatz von ZitrusfrĂŒchten populĂ€r: Crusta und Sours. Sie haben ihren Ursprung im Punch und entwickeln sich getrennt neben den Cocktails. Aus den Sours entwickeln sich in den nĂ€chsten Jahrzehnten die Fizzes, Collinses und Highballs, sowie der Whiskey Sour und der Ramos Gin Fizz.

Um 1860 entsteht der Old Fashioned als RĂŒckbesinnung zum ursprĂŒnglichen Cocktail. Er wird auf Eis serviert. Bis 1870 entwickeln sich Cocktails weiter zum Fancy (mit Curaçao) und zum Improved Cocktail (Absinth und Maraschino), popularisiert durch Jerry Thomas.

Der Sazerac ensteht vermutlich ebenfalls in dieser Zeit. Der ist eine Spezialform des Improved Cocktails und datiert auf die 1850er Jahre, wobei das erste ĂŒberlieferte Rezept von 1909 stammt. Die Entwicklung des Improved und des Sazerac sind parallel und eigenstĂ€ndig.

Als Basisspirituose wird ĂŒberwiegend Cognac verwendet, nach der Reblausplage ab 1870 zunehmend Rye.

Bitters werden ab 1880 nach und nach durch sĂŒssen Wermut erweitert oder ersetzt. Daraus entstehen der Manhattan und Martinez.

Der allgemeine Geschmack zieht immer mehr in trockenere Gefilde; Der sĂŒssliche italienische rote Wermut wird mehr und mehr durch den trockenen französischen weissen Wertmut verdrĂ€ngt. Diesen Übergang zeigt prototypisch der Adonis. Und auch Liköre wie Curaçao finden weniger Einsatz.

Damit lĂ€sst sich eine gerade Linie vom Bittered Sling bis zum Martini Dry Cocktail ziehen: Angefangen beim Bittered Sling mit Gin, ĂŒber einen Gin Old Fashioned und einen Improved Gin Cocktail, bis hin zum Martinez, Tuxedo #2 und dem Turf Club, endet die Linie schliesslich beim Martini Dry Cocktail. Dieser reprĂ€sentiert das Ende dieser Evolution; Eine weitere Reduktion des klassischen Cocktails ist kaum mehr denkbar.[1]

Damit lÀsst sich die Entwicklung der Drinks im 19. Jahrhundert grob in zwei StrÀnge unterteilen:

Der erste Strang bildet die eigenliche Cocktail-Familie nach der klassischen Definition von Spirituose, Wasser, Bitters und Zucker. Diese Linie beginnt mit dem Bittered Slings ĂŒber die Old Fashioned Varianten hin zu komplexeren Improved- und Wermutkreationen und endet beim Martini Dry Cocktail.

Der andere Strang beginnt beim Punch, der ursprĂŒnglich aus Spirituose, Zitrussaft, Zucker, GewĂŒrzen und Wasser (oder Tee) besteht. Von hier aus entwickelt sich die Familie der Sours, angefangen beim Brandy Crusta hin zu den klassichen Sours, den Fizzes und Highballs hin zu komplexen Varianten wie dem Last Word und Sidecar – die gleiche VerhĂ€ltnisse ihrer Hauptbestandteile vorschreiben.


[1] Mit gutem Willen erblickt man beim Martini Dry Cocktail noch den Zuckereinsatz im Wermut und damit die Verwandschaft zur Urdefinition.
 
Zuletzt bearbeitet:

Ähnliche BeitrĂ€ge im Cocktail-Forum

ZurĂŒck
Oben